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Religiöse Vielfalt in Schule und Gesellschaft – Störfaktor oder Chance?

Religiöse Vielfalt in Schule und Gesellschaft – Störfaktor oder Chance?

In aktuellen Diskussionen wird immer wieder die Präsenz der verschiedenen Religionen als Ursache für die Störung des gesellschaftlichen Friedens diagnostiziert. Während die einen Kritiker vor allem gegen die Vielfalt zu Felde ziehen und das „christliche Abendland“ von der Kirche allein geprägt sehen wollen, sprechen sich die anderen für die weitgehende Verbannung von jeglicher Religion aus dem öffentlichen Raum aus. Demgegenüber kommen Fachleute zu einem überraschenden Konsens: Ja, religiöse Vielfalt kann durchaus ein „Störfaktor“ sein – aber gerade deshalb ist sie eine große Chance!

Zu obigem Thema fand am 16. und 17. November eine Tagung mit breiter Beteiligung an der KPH Graz und im Grazer Rathaus statt. Dabei kritisierte der islamische Religionspädagoge Mouhanad Khorchide (Universität Münster) jene islamischen Ideologen, die aus dem unbedingten Gehorsam gegenüber Gott einen absoluten Gehorsam gegenüber menschlichen, religiösen und politischen Institutionen ableiten und damit immer wieder Konflikte provozieren. Demgegenüber lehre der Islam eigentlich einen Gott, der die menschliche Freiheit eröffnet. Ein so verstandener Islam setzt konstruktive Kräfte frei. Paul M. Zulehner (Wien) fand hierin viele Parallelen zur christlichen Theologie- und Kirchengeschichte. Nach ihm bietet der christliche Glaube ein großes Potenzial, in der Überwindung von Angst einen unverzichtbaren Impuls für das gesellschaftliche Zusammenleben zu geben.

Am öffentlich zugänglichen Themenabend wies die Religionspsychologin Anne Koch (PH Linz) darauf hin, dass Religion zwar nicht im medialen Diskurs verschwunden sei, jedoch meist mit negativen Konnotationen angesprochen würde. Außerdem „veroberflächliche“ sich Religion durch Anpassung an säkulare und mediale Trends zunehmend („Ver-pop-ung“ von Religion) – durchaus auch innerhalb der Kirchen. Der ehemalige Gymnasialdirektor und Bildungssprecher der Grünen Harald Walser (Bregenz) sah in religiöser Vielfalt eindeutig eine Chance, die er freilich im schulischen Bereich durch einen gemeinsamen Ethikunterricht für alle durch „staatlich ausgebildete Kräfte“ wahrgenommen wissen wollte. Interessant, dass er dabei 90% der bestehenden Religionslehrer attestierte, „dies ohnehin zu tun“.

Bildungswissenschaftler Henning Schluß (Universität Wien) erinnerte an Wilhelm von Humboldt, der neben der Freiheit die „Mannigfaltigkeit der Situationen“ als Voraussetzung für jegliche Bildung bezeichnet. Somit ist völlig klar: Ohne Vielfalt keine Bildung! Nach seiner bekannten Kindergartenstudie ist überdies nicht religiöse Vielfalt an sich, sondern der „selbstverschuldete mangelhafte Umgang mit ihr“ die Ursache der vieldiskutierten Probleme. In seiner Zukunftsvision bezeichnete der Wiener Religionspädagoge Martin Jäggle religiöse Vielfalt wie auch Migration als „Geschenk und Heimsuchung Gottes“ und lud ein, über die Botschaft dieses Begriffes genauer nachzudenken.

Weitere Beiträge haben sich mit gegenwärtigen Tendenzen in der Konstruktion ‚des Orients‘ und ‚des Islams‘ (Moussa Al-Hassan Diaw und Thomas Schlager-Weidinger, Linz) sowie mit Islam-Bildern im ‚christlichen Abendland‘ (Bassem Asker und Markus Ladstätter, Graz) befasst. Andere thematisierten den Stellenwert von Religion in verschiedenen Ländern im Vergleich (Karsten Lehmann, Wien) oder auch interreligiöses und interkulturelles Lernen anhand literarischer Texte und Filme (Alfred Garcia Sobreira-Majer und Ursula Fatimah Kowanda-Yassin, Wien) sowie die religiösen Momente in kollektiven Identitätskonstruktionen (Yuval Katz-Wilfing, Wien) und weitere Themen. Insgesamt wurde darin besonders die Differenz deutlich zwischen der Realität als solcher und ihren jeweiligen, oftmals völlig unterschiedlichen Deutungen und Interpretationen, die nicht selten weit wirkmächtiger sind als die Realität selbst, sei es unbewusst oder auch in gezielter Propaganda intendiert.

Starke Partnerschaften haben die Planung, die Finanzierung und den Wirkungskreis dieser Tagung ermöglicht: Mit der KPH Graz waren auch die PH Linz, die KPH Wien/Krems, die PH Burgenland und das Bundeszentrum für Interkulturalität, Migration und Mehrsprachigkeit beteiligt; unterstützt wurden sie von der Initiative ComUnitySpirit des AAI Graz und besonders von der Stadt Graz.

Bilderreigen

Bericht: Markus Ladstätter
Fotos: (c) Thomas Raggam, The Schubidu Quartet